Stellungnahme zur Wandlung mancher Prediger in ihren Ansichten

Soll man Gelehrten und Rechtsschulen folgen?

Gibt es jemanden, der den Qur’ān und die Sunnah seines Propheten r besser versteht als die Ṣaḥābah? Ohne sie – die allerersten Gelehrten, die die Religion direkt von ihm r erlernten, ist ein gesundes Verständnis der islamischen Quellen nicht möglich. Kein Muslim mit gesundem Menschenverstand wird seine Geschwister dazu ermuntern, diese Gelehrten der ersten Generationen zu ignorieren.

Ibn Masʽūd h berichtet, dass der Prophet r sagte: „Die besten Menschen sind die aus meiner Generation, dann die, die ihnen folgen und dann jene, die diesen folgen.“ (Ṣaḥīḥ al-Buḫāriyy ohne Wiederholungen, Nr. 1154)

Die Imame und die Gelehrten der Rechtsschulen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft folgen genau diesem Prinzip.

Kann man den Islam ohne die Gelehrten nicht verstehen?

Um die große, klare Botschaft des Qur’ān zu verstehen – nämlich, dass es außer Aḷḷāh keinen Gott gibt – braucht man keine Gelehrte, denn dies verdeutlicht Aḷḷāh Selbst in Seinem Buch immer wieder.

Sobald es aber um Details geht, bspw. um die korrekte Durchführung eines Gottesdienstes, muss der Weg über die Gelehrten der Religion eingeschlagen werden. Aḷḷāh sagt: „Fragt doch die Leute der Ermahnung (nämlich die Gelehrten der Offenbarungen), wenn ihr (etwas) nicht wisst!“ (16:43)

Wenn ein Muslim diesen Weg nicht geht, sondern Bücher, Videos oder Vorträge im Internet als „Gelehrte“ nimmt, kann es geschehen, dass er etwas falsch versteht, bzw. denkt, es richtig verstanden zu haben, und dann stellt sich im Nachhinein heraus, dass dem nicht so war.

Der große Einfluss von Sektenführern und Predigern, die einen falschen Weg leiten, gründet darauf, dass ihre Anhänger – wie im Christentum oder anderen Religionen – nicht lesen und nichts hinterfragen. Dabei fordert uns Aḷḷāh im Qurʼān immer wieder auf, zu reflektieren. „Denkt ihr denn nicht nach?“ (6:50)

Deswegen versuchen wir bei unseren Geschwistern das Bewusstsein, ja den aufrichtigen Wunsch zu wecken, ihre Religion möglichst mit Beweisen zu lernen.

Leider sieht man immer wieder Prediger, die behaupten, den (einzig) richtigen Weg gefunden zu haben, und dann genau das tun, was sie anderen vorwerfen: Sie wenden sich dem Qurʼān zu, ohne Gelehrte herbeizuziehen.

Einer bestimmten Rechtsschule zu folgen ist allerdings nicht die Lösung aller Probleme: Welchen Teil der Rechtsschule? Und welchen ihrer Gelehrten? Den ʼAšāʽirah, Māturīdiyyah, Muʽtazilah (von der Sunnah abgewichene, aber in den Rechtsschulen vertretene ʽAqīdah-Schulen), oder den Sunniten?

Welches ist der Maßstab für richtig und falsch?

Rechtleitung ist keine emotionale Angelegenheit nach dem Motto: „Ich fühle mich jetzt gut“, „Ich fühle mich besser als vorher“, „mein Islam ist jetzt besser als vorher“.

Was lässt dich wissen, ob dich diese Gefühlen nicht täuschen? Manchmal ist gerade für Geschwister, die in nichtislamischen Umgebungen aufwachsen, das, was sie für Islam halten, nicht wirklich der Islam.

Der richtige Weg besteht deshalb darin, sein Urteil über religiöse Angelegenheiten am Qur’ān festzumachen – an Aḷḷāhs Buch, das sich nicht verändert – und an der authentischen Sunnah, die den Qur’ān erläutert, und an den Meinungen der Ṣaḥābah, die diese Quellen besser verstanden als alle, die nach ihnen kamen.

Kann man die muslimische Gemeinschaft verlassen? Wer beurteilt das?

Natürlich ist der Begriff „Muslim“ kein Etikett, das man sich auf Lebenszeit erkauft oder vererbt bekommt. Muslim zu sein bedeutet, sich Aḷḷāh zu ergeben. Das muss sich in den Aussagen und Handlungen eines Menschen niederschlagen. Ist dies nicht der Fall, verlässt derjenige möglicherweise die sunnitische Glaubensgemeinschaft, oder sogar den Islam. Was und wer zum Islam gehört und was und wer nicht, entscheidet allein Aḷḷāh. Die Gelehrten gründen ihre Urteile auf Seiner Entscheidung. Zu den wichtigsten Grundsätzen eines Muslims gehört, dass er bei Meinungsverschiedenheiten den Qur’ān und die Sunnah zum Richter nimmt. Das ist ein Zeichen für den Glauben:

„Seid ihr aber bei einer Sache nicht einig, dann bringt sie vor Aḷḷāh (d. h., konsultiert den Qur’ān) und den Gesandten (d. h., konsultiert die Sunnah), wenn ihr (wirklich) an Aḷḷāh und an den letzten Tag glaubt.“ (4:59)

Wenn ein Gelehrter auf dieser Basis jemanden vom Islam ausschließt, dann nicht, weil er Gott „spielt“, sondern weil er Gottes Gesetze anwendet.

Muslime vereinigen

Sicherlich ist es wünschenswert, dass die Ummah der Muslime zusammenfindet. Dies darf aber nicht um jeden Preis geschehen. Entweder wir einigen uns auf den Grundlagen der Religion – oder es gibt keine Einigung.

Man hört oft „Sag dies und jenes nicht, denn das spaltet!“ Ja, manches spaltet die Menschen – in richtig und falsch! Die Leute der Wahrheit kommen auf Basis der Wahrheit zusammen nicht, weil sie ein Label tragen, das sie vielleicht gar nicht verdienen. Soll man den Menschen nicht erklären, was Kufr und Širk ist, aus lauter Angst, jemanden zu Unrecht zu verurteilen? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Zuschreibung einer negativen Eigenschaft

Wenn nun jemand sagt: „Ich war in meiner islamischen Vergangenheit überheblich, jetzt bin ich es nicht mehr“, dann schreibt er – bewusst oder unbewusst – diese Eigenschaft der Überheblichkeit der verlassenen Gruppe zu, erzeugt damit im Unterbewusstsein des Zuhörers ein Vorurteil und suggeriert, es wäre besser, sich von dieser Gruppe zu distanzieren.

Von der Richtigkeit einer Sache überzeugt zu sein, ist nicht Überheblichkeit. Lasst uns zum Propheten r zurückkehren und ihn r die Bedeutung von Überheblichkeit definieren:

„Überheblichkeit bedeutet, das Recht (d. h. das Recht Aḷḷāhs oder das Recht von Mitmenschen) zu missachten und die Menschen zu verachten.“ (Ṣaḥīḥ Muslim, Sunan ʼAbī Dāwūd 4092)

Ganz abgesehen davon gehören gute und schlechte Charaktereigenschaften wie bspw. Großzügigkeit und Überheblichkeit nicht zu einer bestimmten Gemeinschaft, sondern sind überall zu finden.

Dein Charakter ist schlecht und dein Herz verfinsterst sich, wenn du sündigst und nicht dem Propheten r folgst.

Wenn nun jemand sagt: „Ich fühle, dass ich jetzt recht habe, und die anderen, zu denen ich früher gehörte, liegen falsch“, dann sollte man nicht vergessen, dass ein Wandel der Ansichten nicht automatisch eine Verbesserung bedeutet.

Vielmehr muss man sich fragen: Haben sie sich zum Besseren oder zum Schlechteren verändert? Ist derjenige überzeugt von der Richtigkeit seiner – neuen – Einstellung? Falls ja – erliegt er dann nicht wieder derselben „Überheblichkeit“, derselben Tendenz, auf die „anderen“, diesmal auf die von „vorher“ als „nicht richtig“ hinabzuschauen ? Falls er nicht überzeugt wäre, würde es ja bedeuten, dass er an seiner neuen Überzeugung zweifelt...

Etwas Negatives zu erfinden und dieses einer bestimmten Gruppe zuzuschreiben, ist übrigens eine bekannte Sache: Bis heute wird bspw. unter den Schiiten das Vorurteil verbreitet, die Sunniten hätten die Familie des Propheten r benachteiligt und würden sie verabscheuen.

Bei vielen Themen gab es keine Meinungsverschiedenheit

Wir dürfen keine falschen Informationen verbreiten: Die Propheten q, die Ṣaḥābah j und die Tābi’īn hatten in Bezug auf die Grundlagen des Glaubens an die Namen und Eigenschaften Aḷḷāhs keine Meinungsverschiedenheiten. Wer ihnen darin nicht folgt, schweift von ihrem Weg ab. Wie kann jemand, der dies tut, noch als Sunnit bezeichnet werden?

Gerade in Fragen der ʽAqīdah bauen wir uns manchmal unsere Probleme selbst. Wir loben einen bestimmten Muslim, preisen ihn als Gelehrten, befördern ihn zum Großgelehrten, dann zum Imam, dann zu Ḥuǧǧat al-Islam. Es geht aber bei Gelehrten nicht um Bekanntheit, sondern um Argumente, und inwiefern sie unverfälscht aus den Quellen stammen. Egal,  wie bekannt jemand ist – seine Worte sind wertlos, wenn sie nicht zu den Aussagen der Gelehrten der ersten 3 Generationen passen. Und dazu passen bspw. die Abschweifungen der ʼAšāʽirah, der Māturīdiyyah und der Muʽtazilah ganz und gar nicht.

Der Einfluss von Medien und Behörden

Zu behaupten, die Daʽwah der Sunniten könne dazu führen, dass Muslime dazu verleitet werden, Menschen zu Unrecht zu töten, ist ein unhaltbares Vorurteil, ein beliebtes Klischee bei sogenannten „Islamkritikern“, die ihr Gift bei Medien und Behörden versprühen. Deswegen sollte man, gerade als Prediger, keine dieser Kampfbegriffe von Menschen verwenden, die die Muslime in gut und böse einteilen wollen.

Die Daʽwah der ʼAhlu-s-Sunnah auf Fehler einzelner Muslime oder auf falsche Sichtweisen zu reduzieren, dient nur bestimmten Klischees, mit denen man jede einzelne islamische Gruppierung in ein schlechtes Licht rücken könnte.

Die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern verschiedener Religionen und Gruppierungen begannen übrigens schon 10 Generationen nach Adam n und sind für Konflikte meist ein bedeutenderer Faktor als der wirtschaftliche. So wurde auch der Prophet r damals nicht in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen bekämpft, sondern weil er den Tauḥīd predigte. Man bot ihm  ja sogar ein Vermögen an, das ihn zum reichsten Mann von Quraiš gemacht hätte! So schlug ʽUtbah dem Propheten r vor:

„O Mann, wenn es nur um deine Bedürfnisse geht, dann werden wir für dich sammeln, bis du der reichste Mann unter den Quraiš bist.“ (Ṣaḥīḥ as-Sīrah an-Nabawiyyah von ʼAlbāniyy)

Wir bitten Aḷḷāh darum, dass wir mit dem, was wir über Seine Religion äußern, nichts beabsichtigen, als Ihn allein zufriedenzustellen – keine Menschen,  keine Behörde, keine Medien, keinen Verfassungsschutz... Und wir bitten Aḷḷāh darum, dass wir unseren Glauben nicht nur in uns tragen, sondern ihn auch immer aufrichtig nach außen zeigen.

 Das Video zum Tex: